Hier nun der erste Teil unserer neuen Serie Krafttraining im Ausdauersport. Die Themenlage ist äußerst komplex, daher der Versuch alles kurz und prägnant aber doch verständlich zu halten. Einführend möchte ich gerne mit einem kurzen Exkurs beginnen.

Klassisch physikalisch betrachtet versteht man unter Kraft eine Einwirkung, welche einen Körper beschleunigt, abbremst, ihn seine Richtung ändern lässt und/oder ihn verformt. Sir Isaac Newton beschreibt das im Trägheitsgesetz (erstes newtonsche Axiom – aus seinem Werk Principia) wie folgt: Ein Körper bleibt in Ruhe oder in gleichförmiger geradliniger Bewegung, solange die Summe der auf ihn wirkenden Kräfte null ist (vgl. Wikipedia 2019).

Kraft ist – neben Schnelligkeit, Beweglichkeit und Ausdauer – eine der vier grundlegenden konditionellen Fähigkeiten. Zusammen mit den koordinativen Fähigkeiten zählt sie zu den sogenannten motorischen Grundeigenschaften (vgl. Thomschke 2018). Kraft definiert sich dabei als die Fähigkeit des neuromuskulären Systems – durch Muskelkontraktionen –, Widerstände zu überwinden, ihnen entgegenzuwirken oder sie zu halten. Das geschieht durch konzentrische (überwindende), exzentrische (entgegenwirkende) oder statische (haltende) Arbeit. Es kann also gesagt werden, jegliche sportliche Bewegungsfähigkeit erfordert immer eine bestimmte Art von Kraft (vgl. Gutschlhofer et al. 2017). Daher sollte der Steigerung der Kraftfähigkeiten, vor allem im Hinblick auf die Entwicklung der sportlichen Leistungsfähigkeit, ein großer Stellenwert eingeräumt werden.

Welche Vorteile bringt nun eine gesteigerte Kraftfähigkeit eigentlich mit sich? Die, meiner Meinung nach, wichtigsten hier angeführt:• Allgemeiner und spezifischer Kraftzuwachs
• Verbesserung der Leistungsfähigkeit
• Steigerung der Geschwindigkeit
• Steigerung der Schnelligkeit
• Verbesserte Beweglichkeit
• Koordinative Verbesserung (inter- und intramuskuläre Koordination)
• Bewegungsökonomisierung (Stichwort Ausgleichsbewegungen)
• Verletzungsprävention (z. B. durch Erhöhung der Knochendichte, erhöhte und verbesserte Gelenkstabilisierung und Schutzfunktion, Vorbeugung von muskulären Dysbalancen)

 

Aber, Kraft ist nicht gleich Kraft. Nachfolgend möchte ich kurz auf die unterschiedlichen Ausprägungen der Kraftfähigkeiten eingehen, diese kurz und verständlich definieren und ihre Abhängigkeiten zueinander erläutern.
Die Kraftfähigkeiten lassen sich in vorwiegend vier „Kategorien“ einteilen. Maximalkraft, Kraftausdauer Schnellkraft und Reaktivkraft (als spezifische Sonderform der Schnellkraft).

• Unter Maximalkraft versteht man die größtmögliche Kraft, die das neuromuskuläre System des Menschen willkürlich gegen einen Widerstand ausüben kann. Sie kann entweder isometrisch (statisch) oder aber dynamisch (z. B. das Heben einer Hantel) entfaltet werden (vgl. Güllich/Schmidtbleicher 1999).
• Die Kraftausdauer wiederum definiert sich als die Ermüdungswiderstandsfähigkeit des Organismus bei lang andauernden, sich wiederholenden Kraftleistungen (vgl. Harre 1970).
• Die Schnellkraft beschreibt die Fähigkeit, einen möglichst großen Kraftimpuls innerhalb einer zur Verfügung stehenden Zeitspanne zu entfalten (vgl. Güllich/Schmidtbleicher 1999). Ist das Ziel einen möglichst steilen Kraftanstieg in kurzer Zeit (Kraft-Zeit-Kurve) zu produzieren, wird in diesem Kontext auch von der Explosivkraft gesprochen (vgl. Güllich/Schmidtbleicher 1999) bzw. von der Startkraft, wenn der Kraftwert schon zu Beginn der Kontraktion (ersten 30 bis 50 Millisekunden) erreicht wird oder werden muss (vgl. Bührle et al. 1983).
• Der Reaktivkraft kommt hier, als spezifische Form der Schnellkraft eine kleine Sonderstellung zu. Sie sei jedoch, der Vollständigkeit halber, trotzdem kurz erläutert. Die Reaktivkraft charakterisiert sich durch die Fähigkeit der Muskulatur, aus einer nachgebenden, abbremsenden Bewegung, in einer möglichst kurzen Zeitspanne, eine große entgegengerichtete Kraft entwickeln zu können (Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus). Sie ist vor allem bei Bewegungen wie Würfen oder Sprüngen erforderlich (vgl. Frey/Hildenbrandt 2002).

Diese Kategorien dürfen allerdings nicht als gleichrangig eingeordnet werden. Das Verhältnis ist hierarchisch. Bedeutet, die Maximalkraft ist den Kraftfähigkeiten Schnellkraft und Kraftausdauer übergeordnet. Oder anders herum, die Maximalkraft bildet die Basisfähigkeit für Schnellkraft und Kraftausdauer und diese sind daher von der Maximalkraft abhängig. Für den Trainingsprozess bedeutet das, eine Verbesserung der Maximalkraft geht immer auch mit einer Verbesserung der Schnellkraft- und Kraftausdauerleistungsfähigkeit einher (vgl. Güllich/Schmidtbleicher 1999).

Dabei ist es auch wichtig zu verstehen, Anpassungen in eben dem für das Krafttraining vorherrschenden Bereich werden erst ab mindestens 50% des individuellen Kraftmaximums erreicht (vgl. Schmidtbleicher 2003).
Werfen wir nun abschließend noch einen kurzen Blick auf die Einflussfaktoren der Kraftfähigkeit. Diese sind bestimmt durch den Muskelfasertyp und die Verteilung der Muskelfern (Typ-I-Fasern und Typ-II-Fasern), dem Muskelfaserquerschnitt, die synchrone Aktivierung mehrerer/vieler Muskelfasern, die Stimulationsfrequenz der Muskelfasern, die Transferleistung der Kraft über mehrerer Muskelketten sowie den individuellen Hebelverhältnissen und die Verfügbarkeit der energieverantwortlichen Speicher in der Muskulatur (vgl. Gutschlhofer et al. 2017).

Mehr dazu aber dann in Episode II.

 

Literatur:
Bührle, M., Schmidtbleicher, D., Ressel, H. (1983): Die spezielle Diagnose der einzelnen Kraftkomponenten im Hochleistungssport. Leistungssport 13(3), S. 11-16
Frey, G., Hildenbrandt, E. (2002): Einführung in die Trainingslehre. Teil 1: Grundlagen (2., erweit. und überarb. Aufl.) Sport und Sportunterricht 11. Schorndorf: Hofmann, S. 74
Güllich, A., Schmidtbleicher, D. (1999): Struktur der Kraftfähigkeiten und ihre Trainingsmethoden. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin. 50, S. 223-234
Gutschlhofer, T., Kandolf, W., Mrkvicka, G., Reiterer, E., Vock A., Wolf, M., Zeilinger, M. (2017): Angewandte Trainingslehre. Eine Expertise der Bundessportakademie. Wien: Bundesministerium für Bildung, S 63-64
Harre, D. (1970): Trainingslehre: Einführung in die allgemeine Trainingsmethodik. Berlin: Sportverlag
Schmidtbleicher D. (2003): Motorische Eigenschaft Kraft: Struktur, Komponenten, Anpassungserscheinungen, Trainingsmethoden und Periodisierung. In: Fritsch W. (Hrsg.). Rudern – erfahren, erkunden, erforschen. Gießen: Wirth, S. 15-21
Thomschke, R. (2018): Konditionelle Fähigkeiten. Abgerufen 09.02.2020, von https://www.in-form-sein.de/konditionelle_faehigkeiten.html
Wikipedia (2019): Wikipedia die freie Enzyklopädie. Abgerufen 09.02.2020, von https://de.wikipedia.org/wiki/Newtonsche_Gesetze